unter anderem, weil in einem anderen Thread immer wieder die Rede von Streunern ist, hier mal einige Infos, Erfahrungen und Theorien.
Es gibt eine recht eindeutige Definition vom Streuner: ein Tier, das ohne jegliche Identifikationsmerkmale umherlaufend beobachtet werden kann, wird allgemein als Streuner bezeichnet. Wer sagt das? Das haben mal RSPCA http://www.rspca.org.uk und WSPA http://www.wspa.de/ in ihren tierschutz-Broschüren so formuliert. Klingt einleuchtend, aber wir haben das mal um zwei Einteilungen erweitert, da es dort unserer Erfahrungen nach einen wesentlichen Unterschied gibt.
1. die wilden Streuner: ...leben meistens schon seit Generationen ohne menschliche Fürsorge und sind so angepasst an ihre Lebenssituation, dass sie wirklich scheu wie ein Wildtier sind.
- Streunertiere werden nicht gepflegt; dementsprechend zerzaust sehen sie meistens aus.
- Viele der wild geborenen Hunde und Katzen haben in ihrer Prägephase kaum Kontakt zu Menschen. Sie sind daher sehr scheu und lassen sich nicht anfassen, geschweige denn einfangen.
- Die Tiere besitzen keine Identifikationsmerkmale wie Halsbänder, Tätowierungen, Mikrochips oder ähnliches.
- Streunertiere sind häufig unterernährt und haben sichtbare Mangelerscheinungen. Parasiten, Verletzungen, Autounfälle und die im Winter manchmal sehr krassen Witterungsbedingungen zeichnen viele Tiere.
2. die ausgesetzten Streuner: ...machen den überwiegenden Teil der Streuner in den südlichen Ländern aus. Ausgesetzte Streuner sind - ist klar - Tiere, die von ihren Besitzern ausgesetzt wurden.
Wieso die Tiere auch in Rumänien massenhaft ausgesetzt werden? Das ist dort nicht anders als in GR oder Spanien: Unkontrollierter Verkauf, unkontrollierte Vermehrung, etc.. Gerade Welpen sind bei Kindern sehr beliebt, bis zu den Zeitpunkt, wo sie Ansprüche stellen, dann wandern sie in den Müll oder im besten Fall auf die Straße. Kastrationen kann sich ja kaum ein Normalmensch in Rumänien leisten und die Aufklärung in Bezug auf unerwünschte Vermehrung ist auch eher nicht vorhanden - wie auch, die Menschen haben meistens ganz andere Sorgen (wissen in einigen Regionen nicht einmal, wovon sie morgen was zu essen kaufen sollen...).
Unterschiede zwischen ausgesetzten und wilden Streunern sind bei genauerem Beobachten relativ deutlich. Zum Beispiel:
- Welpen, die in menschlicher Umgebung aufgezogen und dann auf die Straße gesetzt wurden, sind zutraulicher und gehen auf den Menschen zu (sofern sie gut behandelt wurden!).
- Die ausgesetzten Streuner haben häufig noch Halsbänder oder andere Identifikationsmerkmale.
- Unter den ausgesetzten Streunern findet man viele Kreuzungen zweier Rassen, da die Zucht bestimmter Hunderassen auch in Rumänien beliebt ist.
Kleiner Einschub an dieser Stelle, damit der Bezug zu BP klar wird: Ich bin überzeugt davon, dass es sich bei den Hunden, die aus Rumänien zu uns kommen, zu 95% um ausgesetzte Streuner handelt. Das heißt: die meisten Hunde aus Eugenias TH oder die auf den Straßen dort unten herumlaufen, sind gar keine richtigen Streuner, sondern ausgesetzte Hunde, die in den Straßen (mehr oder weniger) überleben (müssen)!
„Echte“ Streuner sind äußerst selten. Wir haben mal auf der gr. Halbinsel Chalkidiki „echte“ Streuner beobachtet. Auch auf Kreta in den weißen Bergen haben wir mal auf der Lauer gelegen und im Winter mal „echte“ Streuner gefüttert.
Diese Hunde sind extrem scheu und es ist eher undenkbar, dass solche Hunde hierhin vermittelt werden können. Da kommt man gar nicht erst dran. Und je mehr ich diese so genannten (furchtbaren) "Tiersammellager/Tierheime" im Ausland (z.B. Larissa-Shelter oder Loutraki auf dem gr. Festland) sehe, desto mehr gelange ich auch zu der Überzeugung, dass solche wilden Streuner ein wesentlich besseres Leben in abgeschiedener Freiheit führen, auch wenn es manchmal hart ist. Diese „echten“ Streuner haben über Jahre hinweg das Überleben eher abseits von Menschen gelernt und kommen damit manchmal auch recht gut klar.
Anders bei den ausgesetzten Streunern, die ich jetzt mal Straßenhunde nenne. Klar gibt es auch Straßenhunde, die irgendwie klar kommen, aber es ist utopisch zu denken, dass es ein artgerechtes und in irgendeinem Forum würdiges Leben ist.
Manchmal höre ich sogar eine regelrechte "Streunerromantik" heraus, wenn mir Touristen etwas von ihren Erlebnissen mit Streunern auf Kreta oder anderswo erzählen. Da stellen sich mir die Nackenhaare auf… Die meisten ausgesetzten Hunde sind häufig total hilflos und überleben nur kurze Zeit. Sie kämpfen einfach nur ums Überleben, egal, ob in den Straßen von Suceava oder Heraklion. Und eines ist mir in beiden Städten aufgefallen, was das vorher Beschriebene bestätigt: man sieht dort kaum ältere Straßenhunde. Und wenn man ältere Hunde sieht, sind es eher Tiere, die Besitzer haben (oder eine unglaublich wirksame Strategie entwickelt haben – auch das kommt vor…).
Das Leben der Straßenhunde in den Städten ist meistens kurz. Oft sind es Verkehrsunfälle, sehr häufig Jäger und noch häufiger Vergiftungen, die die Straßenhunde dezimieren. In einigen Ländern werden die Straßenhunde eher als Ungeziefer wahrgenommen und dann auch so behandelt, bzw. bekämpft.
Vielleicht hört es sich jetzt alles wie eine Werbebotschaft für Straßenhunde an. Nach dem Motto: Ihre einzige Rettung ist die Ausfuhr. Auch, wenn das eigentlich so stimmt, ist das aber nicht die Lösung der Probleme und ich bin da als einzige, andauernde „Tierschutzmaßnahme“ auch klar dagegen. Eine vertretbare Lösung kann nur in Kombination mit Aktivitäten vor Ort stattfinden. Z.B. durch Aufklärung und Kastrationen. Außerdem gibt es durchaus Probleme, die diese Hunde mitbringen – nur diese möchte ich jetzt nicht thematisieren. Vielmehr möchte ich aber gerne mal ein paar andere Sichtweisen, bzw. Erfahrungen zum Thema Verhalten aufzeigen und damit möglicherweise mit ein paar großen Missverständnissen aufräumen. Problemverhalten von Ex-Straßenhunden werden hier in Deutschland nämlich häufig unter - meiner Meinung nach einfach falschen - Voraussetzungen und Ansichten gesehen bzw. angegangen.
Meistens von Tierschutztheoretikern, die noch nie längere Zeit vor Ort im Süden Hunde erlebt haben, lese oder höre ich immer wieder, dass Auslandshunde meistens schwer verhaltensgestört, ängstlich und schlecht sozialisiert sind. Angeblich leiden sie – als Folge der alltäglichen Nahrungskonkurrenz – unter ständigem Mobbing durch Artgenossen.
Wie häufig habe ich das schon von Klienten gehört, die diesen Humbug in Hundeschulen über sich ergehen lassen mussten: Ihr Auslands-Hund habe auf Straße das Mobbing in Perfektion gelernt. Nicht selten sollen Auslandshunde auch einen extremen Schutztrieb haben und auf Grund der schlimmen Früherfahrungen mit Menschen kaum mehr lernfähig sein. In meinen Augen ist das falsch und ich kann eher nur das Gegenteil bestätigen!
Sicher gibt es vereinzelt Fälle von besonders krass misshandelten oder vereinsamt gehaltenen Hunden, die aus Mitleid hierhin vermittelt wurden und dann hier nicht mehr zu einem sozialen Miteinander fähig sind, aber das ist nun wirklich nicht die Regel und alles andere erlebe und sehe ich anders.
[Ok, ein immer wieder genanntes Problem haben viele Auslandshunde - gerade die aus Spanien - hier häufiger: ein Jagdproblem...]
Für meinen auslandstierschützerischen und hundeverhaltenstherapeutischen Horizont haben die ganzen Erfahrungen und Erlebnisse vor Ort eine Menge geändert. Zum Beispiel:
Die meisten dieser Straßenhunde haben gelernt, Strategien zu entwickeln, sich in einer neuen Umgebung zu Recht zu finden. Was hier für (die meisten von…) uns unvorstellbar ist, also den geliebten Hund einfach irgendwo auszusetzen, passiert für viele dieser Hunde z.T. mehrfach – ist also Alltag.
Beispiel: Ein Hund wird als Welpe ausgesetzt, wird dann irgendwo gefüttert, wird dort wieder lästig, verscheucht und muss dann wieder eine Siedlung oder Müllhalde weiter ziehen. D.h.: die Hunde ändern mehrfach ihre Umgebung, ihre Gruppe (von Rudel kann man da gar nicht reden), ihren sozialen Stand, ihre Gewohnheiten und auch die Nahrung. Damit geht natürlich eine auch ständige Veränderung des gesundheitlichen Status einher. Straßenhunde sind also in der Regel (eher als z.B. Hunde aus dem hiesigen Tierschutz) daran gewöhnt, ihre Strategie ständig zu ändern, selbst wenn sie z.B. durch negative Erfahrungen (häufig mit Männern oder Kindern) traumatisiert wurden.
Durch ihre ganz besondere Fähigkeit zur ständigen Änderung ihrer Überlebensstrategie haben viele der Auslandshunde eine ebenso ganz spezielle Sensibilität und Anpassungsfähigkeit entwickelt. Ich stelle mir das so vor wie unsichtbare Fühler, die wie bei Insekten ständig das Umfeld abschwingen (oje, jetzt denkt ihr sicher alle, ich hätte kräftig einen an der Schüssel…;-). Die Ex-Straßenhunde besitzen zum Beispiel ein äußerst feines Gespür für Veränderungen – viel mehr als die Rassehunde hier vom Züchter. Damit meine ich veränderte Stimmungen oder Veränderungen in der Atmosphäre (Luftdruck, Wetterlage, Gewitter...).
Mimik, Körpersprache, Signalverhalten, kommt mir bei vielen Auslandshunden sehr viel ausgeprägter und nuancierter vor. Ich erinnere mich auch an Augenkontakte mit Angsthunden auf Kreta, in deren Blick ich glaubte ganze Romane lesen zu können… Auf der anderen Seite erlebe ich von Ex-Straßenhunden dann wieder eine Sturheit, die an totaler Ignoranz grenzt. Vieles von dem, was ich über Hunde gelernt habe, habe ich von Straßenhunden gelernt. Der Spruch „Hunde haben die bessere Menschenkenntnis“ – der gilt m.M.n. ganz besonders bei Auslandshunden.
Sie sind aber auch ganz besonders flexibel und dadurch auch ganz besonders lernfähig. Meiner Erfahrung nach gilt das auch bei Problemverhalten und der Therapie. Beispiele habe ich genug erlebt, in denen Auslandhunde eher in der Lage waren ihre Ängste abzubauen, also ihre Strategien zu ändern, als andere Hunde. Schaut doch mal hier ins Forum, hier findet ihr Beispiele. Ilana von Sandra ist so ein Beispiel: Ihr Problem-Verlauf ist ähnlich wie bei einer homöopathischen Behandlung: Ankunft --> Umfeld-Check --> Selbstschutzverhalten (Strategie) --> Erstverschlimmerung (Hunde sind grundsätzlich „negativ-pessimistisch“ – siehe Coppinger…) --> Fortschritt (Anfang neue Strategie) --> Anpassung (Festigen der neuen Strategie) --> Status --> Vermittlung (wieder neue Strategie, aber die alte noch nicht ganz aus den Augen verlieren
Dieser Verlauf ist uns durchaus bekannt und – wen wundert es… – gerade bei angstbedingtem Problemverhalten von Auslandshunden schlägt eine begleitenden homöopathische Behandlung ganz besonders gut an.
Thema Sozialisierung: Hunde, die auch nur ein paar Wochen gelernt haben, auf der Straße oder auch im Tierheim zwischen großen, kleinen, forschen, zurückhaltenden, erfahrenen, selbstbewussten, kontrollierenden, etc. Hunden klarzukommen, die sind vielfach besser sozialisiert als viele Hunde, die hier vom Züchte kommen!
Klar, die Auslandshunde müssen sich durchsetzen, um an Futter zu kommen, aber die müssen genauso auch ganz besondere Strategien des sozialen Miteinanders entwickeln, um ohne Aggression, also ohne Verletzungen überleben zu können! Das Mobbing von Hunden, das hier in vielen Hunde-, bzw. Hunde-Mensch-Teams ein Problem ist, hat in meinen Augen teilweise ganz andere Ursachen und Ausprägungen.
Oh, eigentlich wollte ich nur ganz kurz was zum Thema Streuner schreiben…
//Stefan

